08.04.2004. Romane / Lyrik, Krimis, Reportagen, Kinderbücher / Sachbücher / politische Bücher
Romane /
Lyrik, Krimis, Reportagen, Kinderbücher /
Sachbücher /
politische Bücher Lyrik Das Ereignis der Saison, das
letzte Meisterwerk des 20. Jahrhunderts
- behaupten jedenfalls die Rezensenten - ist ein
Versroman: Ulrich Greiner (
Zeit) und Jan Wagner (
FR) vergleichen
Les Murrays zweisprachig erschienenen
"Fredy Neptune" () mit
Homers "Odysee". Ein
Seemann durchwandert die Welt und das 20. Jahrhundert und wird Zeuge der Schrecken eines "wahnsinnigen Jahrhunderts". Der Kniff an diesem Epos ist, dass Murray seinen Helden nicht in hohem Ton, sondern wie einen
australischen Kleinfarmer sprechen lässt. Thomas Poiss (
FAZ) nennt das Buch das "
kühnste Gedicht des zwanzigsten Jahrhunderts", Frank Schäfer (
taz) staunt über die "erzählerische
Urgewalt", und Jürgen Brocan (
NZZ) erklärt kurzerhand:
nobelpreisverdächtig.
Sehr gut besprochen wurden auch
Silke Scheuermanns Gedichtband
"Der zärtlichste Punkt im All" (), den Harald Hartung in der
FAZ für seine Ironie und "zutiefst
skeptische Intellektualität" lobt.
Jan Wagners Lyrikband
"Guerickes Sperling" () hat Lothar Müller (
SZ) in anregende Unruhe versetzt. Es sind Gedichte von kühler "Virtuosität" und mit
"logischen Widerhaken", staunt er.
Krimis Vor allem der
Zeit und dem begeisterungsfähigen
Tobias Gohlis - praktisch der einzige hauptberufliche Krimirezensent im deutschen Feuilleton - sei Dank können wir auch einige neue Krimis vorstellen.
Monika Geier hat mit
"Stein sei ewig" () ihren bisher besten Roman veröffentlicht, versichert Gohlis. Kommissarin Bettina Boll muss den
Mord ein einem Aktmodell in der Architekturfakultät der Lautringer Uni aufklären. "Allerfiligranstes Kunst-Handwerk" zeichnet diesen Roman aus, so Gohlis, und höchst amüsant sei er auch. Großes Lob auch für
Jasper Ffordes "Der Fall Jane Eyre" (): Ein "schlauer, herrlicher Spaß" über eine Detektivin, die verhindern soll, dass Jane Eyre aus ihrem Roman entführt wird. Gohlis ist begeistert, vor allem, weil die
Bösewichter hier "innovativ immer auf Draht" sind.
Die
taz hat zwei deutsche Krimiautoren entdeckt:
Johannes W. Betz' "Bundesautobahn" () ist ein höchst aktuelles Stück über die "chromglänzende Hölle der Temposünder und
testosterongesteuerten Testfahrer", schreibt Kolja Mensing. Und Tobias Rapp empfiehlt
Frank Schätzings "Der Schwarm" (), ein "großartiger"
Umweltkrimi, der nur am Ende in seinem Antiamerikanismus etwas zu simpel gestrickt sei. Robin Detje spottet in der
SZ zwar über "Schätzings deutsches Öko-Weltgenesungswesen", doch gibt er zu, dass der Roman spannend ist: "Ein Fall von Edelschrott, den man nicht verachten soll, ein
Qualitätsprodukt der Kulturindustrie, wie es der Rest der deutschen Industrie schon lange nicht mehr zustande bringt ..."
Empfohlen werden schließlich noch
Carlo Lucarellis amüsante
Groteske "Laura Rimini" (),
John Le Carres in Deutschland spielender Thriller
"Absolute Freunde" (),
Yi Munyols "Der entstellte Held" () über den Machtkampf in einem
koreanischen Klassenzimmer und
Thea Dorns "Die Brut" (), ein "kalt geschmiedetes Meisterstück" rund um eine erfolgreiche
Talk-Show-Moderatorin.
Reportagen Einhellige Bewunderung hat
Karl-Markus Gauß für
"Die Hundeesser von Svinia" () auf sich gezogen, wobei die Begeisterung für den "erstklassigen Reporter" mit Bestürzung über die Situation der "Elendsgemeinden" der
Zigeuner im Osten der
Slowakei einherging. Die
FR hat in diesem Reisebericht vom vermeintlichen "Erdmittelpunkt der Ereignislosigkeit" nicht nur Elend, Armut und Gestank erlebt, Schuldsklaven, Wucherherren und Hundeesser, sondern auch "viel
unverputzte Schönheit". Die
Zeit staunt, wie Gauß Atmosphäre "nur mit feinster Präzision" vermittelt. Und die
NZZ adelt ihn zu einem Berichterstatter von "nachgerade
philosophischem Format": "Sein Sehen ist ein Schauen".
Gefeiert wurden auch zwei weitere Bücher aus dem journalistischen Genre: In
Marie-Luise Scherers Reportagenband
"Der Akkordeonspieler" () sieht die
SZ ganz große Literatur: "Sie sammelt nicht einfach Eindrücke", schwärmt Gustav Seibt von Scherers Technik, "sie
versinkt in fremdem Leben, sie geht mit Haut und Haar darin auf".
Sebastian Haffners Feuilletons "Das Leben der Fußgänger" () werden als Alltagspoesien aufgenommen, die vordergründig dem leichtem Leben in schweren Zeiten huldigen, doch genau darin ihre Hintergründigkeit entfalten, wie Stephan Schlak in der
SZ das Haffnersche Spiel über Bande erläutert: "Mit der
Zigarette zwischen den Fingern ist es unmöglich, den
Übermenschen zu spielen."
Kinder- und Jugendbücher Für Kurze bis 6 Jahre Weil es Brauch ist, dass jede seiner Frauen ihm ein Kissen näht, muss der Sultan täglich auf einen immer größer werden Berg von Kissen gehievt werden. Besonders die hundert "dicken, dünnen, kleinen, großen, schönen oder potthässlichen" Haremsdamen in
Claudia Schreibers und
Sybille Heins "Sultan und Kotzbrocken" () haben es Maria Frise (
FAZ) angetan. In der Beziehung des Sultans zum schusseligen Kranführer Kotzbrocken sieht sie eine neue, witzige Variante des altbekannten Motivs Herr und Knecht. Angelika Ohland feiert das Buch in der
taz als "eine wunderbare Lobpreisung der Faulheit".
Die alte Martha hat Hunger. Deshalb entschließt sie sich, ihr
Schwein Emil zum Schlachter zu bringen. Natürlich kann sie es am Ende doch nicht. Als eine gelungene Kooperation
Hans Traxlers mit sich selbst in Eigenschaft als Kinderbuchautor und Cartoonist lobt Martin Scholz in der
FR "Komm, Emil, wir gehn heim!" (). Es ist eine hoffnungsvolle und beinah versöhnliche Groteske, die sich durch eine eigenwillige Mischung "aus satirischem Biss und kindlicher Poesie" auszeichnet, so Scholz. Für Patrick Bahners (
FAZ) bietet die Geschichte neben einigen rührenden Einsichten in die Natur als Verwertungskreislauf sogar
metaphysische Momente.
Für Kurze ab 10 Jahre Regelrecht "erschüttert" ist Klaus Doderer in der
Zeit von
Uri Orlevs "Lauf, Junge lauf" (), der Geschichte des jüdischen Jungen Srulik, der aus dem
Warschauer Ghetto flieht. Zwar verliert der Achtjährige seine Familie, doch nicht die Hoffnung und stellt sich allein dem Überlebenskampf während des Holocaust. "Atemlos" hat Burkhard Spinnen in der
FAZ verfolgt, wie "hier jemand das Wagnis unternimmt, sich auf dem schmalen Grat zwischen Schulstunde und Abenteuerroman zu halten". Als ein spannendes Mahnwerk empfiehlt Günter Kunert in der
FR den Jugendroman, der Raum für Versöhnung und Hoffung lasse. Doderer und Spinnen machen überdies auf die geschickte, klare Übersetzung
Miriam Presslers aufmerksam.
Kirsten Boie verquickt in ihrem
Science Fiction-Roman
"Die Medlevinger" () "gekonnt Spannung, Komik, fantastische Kuriosa und die authentischen Befindlichkeiten heutiger Kinder", findet Simone Giesen, die sich in der
FR darüber freut, wie es der Autorin gelingt, auch aktuelle Sujets wie "Mobbing unter Schülern", die "alleinerziehende forsche Mutter" und die "freche, kluge Göre" unterzubringen, ohne dabei den abenteuerlichen Plot zu überfrachten, sondern ihn im Gegenteil sogar noch zu einem "handfesten Krimi" zu entwickeln. Das
Zwergenvolk der Medlevinger, das der zwölfjährige Johannes im Hinterhof seines Hauses entdeckt, erinnern Giesen an Tolkiens
Hobbits. Und auch Wilfried von Bredow (
FAZ ) musste an Tolkien denken. Die vergnügliche, spannende und lehrreiche Geschichte entwickelt sich auf mehreren Ebenen mit steigendem Erzähltempo zu einem
spannenden Krimi mit einer Menge
Situationskomik, verspricht Bredow.
Trotz seines wenig überzeugenden ersten Eindrucks lohnt sich die Lektüre von "
Tatort Leinwand. Mit Kindern Kunst entdecken" (), weil es sich von allen anderen
Kunstbüchern für Kinder deutlich abhebt, versichert Christine Jenny in der
NZZ. Die Qualität des Drucks sei hervorragend. Ohne Brimborium bereite das Buch auf den
Museumsbesuch vor, statt die Illusion zu wecken, es reiche, ein Bild im Druck gesehen zu haben, um es zu kennen, freut sich Jenny über das "schlaue" Buch.
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