Michael Kimball

Eine Familie verschwindet

Roman
Cover: Eine Familie verschwindet
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002
ISBN 9783518413654
Gebunden, 147 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Brigitte Heinrich. Momma, Poppa, Bruder, Schwester. Sie packen alles ins Auto, was sie mitnehmen können, legen das tote Baby in eine Spielzeugkiste in den Kofferraum. Sie verlassen Mineola in Texas, eilen und irren durch die offenen Weiten Amerikas nach Gaylord in Michigan, zu Bompa. An jedem Ort, den sie durchqueren, verkaufen sie etwas von dem, was ihnen geblieben ist - die Basketballausrüstung des Sohns, die Kette der Tochter, Mutters Hochzeitskleid, Vaters Taschenuhr: Sie fahren weiter und weiter und müssen doch bei sich selbst und ihren ungetrösteten Gefühlen bleiben.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.03.2003

Eleonore Frey zeigt sich begeistert von Michael Kimballs erstaunlichem Roman. Die Reise der verelendeten Familie vom Süden in den Norden der USA überrasche vor allem durch zwei sich in strengem Rhythmus abwechselnde Erzähler, die die gleichen Dinge auf zwei vollkommen unterschiedliche Weisen berichten. Zum einen der Sohn, der den Verlauf der Reise analytisch beobachtet, und zum anderen die jüngere Tochter, die im Gegenteil alles aus kindlicher Sicht sieht und ebenso beschreibt, was manches Mal überraschend oder sogar "slapstickhaft" wirke, wobei der Autor dankenswerterweise nie ins Unbedarfte abgleite, so die Rezensentin, wodurch die Distanz zu den beiden kleinen Erzählern stets gewahrt bleibe. Hinzu kommt noch ein Lob der Rezensentin für die "erfreulich ungezwungene Übersetzung" von Brigitte Heinrich.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.12.2002

Ingeborg Harms lässt an Michael Kimballs "makabrer Road-Story", in der eine kleine Familie mit der präparierten Leiche ihres verstorben Sohnes bzw. Bruders im Kofferraum Amerika durchquert, kein gutes Haar. Wie Harms ausführt, erzählt Kimball die Geschichte aus der Perspektive des namenlosen Schwester-und-Bruder-Paares in einer Art Privatsprache, einer "seltsamen Mischung" von gewöhnlicher Rede in normalem Satzbau und kindlichen Umständlichkeiten und Worterfindungen. Das empfindet Harms schlicht als "Zumutung". Denn Kimballs "Sprachdrechseleien" haben für sie nichts mit einer kindlichen Sprache zu tun. "Das Buch", echauffiert sich die Rezensentin, "ist vielmehr eine schwerfällige Erzählung, in der sich ein Erwachsener - mit dem Gertrude-Stein-Sound im Ohr - ausmalt, wie Kinder sprechen würden". Wider besseres Wissen zwinge Kimball seine Leser, "die traurigen Episoden der Reise durch die verzerrte Brille einer zweifelhaften Sprachakrobatik wahrzunehmen". Was das ganze Buch soll, ist der Rezensentin eh nicht so klar. Eins ist für sie allerdings sicher: "Kimballs Roman ist eine Totgeburt."
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 09.10.2002

Frank Schäfer spricht gleich im ersten Satz seiner Rezension aus, was der Leser wohl wissen sollte: "Dieses Buch macht keinen Spaß". Kein Wunder, ist es doch eine "ebenso trostlose wie irrwitzige Horrorgeschichte", in der Schäfer Parallelen zu den Filmen David Lynchs entdeckt. Besonders sprachlich findet Schäfer die Darstellung des Horrors, der sich durch dieses Buch zieht, interessant gelöst: Der Autor Michael Kimball lässt zwei "noch kaum sprachmächtige" Kinder aus einer "vorrationalen, mystischen Welt" die von Leichen gepflasterte Odyssee ihrer Familie erzählen. Der Autor schafft es nach Schäfer, mit diesem "infantilen Kunstidiom die totale Verstörung der beiden Protagonisten" erfahrbar zu machen, auch wenn er den Leser nach mit der Übersetzung dieser Traumsprache manchmal überfordere. Trotzdem, diese Prosa entwickelt in Schäfers Augen "neuralgische Wucht" und ist so "todtraurig, dass es einem weh tut".