Jürgen Habermas

Nachmetaphysisches Denken II

Aufsätze und Repliken
Cover: Nachmetaphysisches Denken II
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
ISBN 9783518585818
Gebunden, 350 Seiten, 34,95 EUR

Klappentext

"Wir haben zum nachmetaphysischen Denken keine Alternative." Dieser Satz, geschrieben von Jürgen Habermas in seiner 1988 erschienenen Aufsatzsammlung "Nachmetaphysisches Denken", gilt noch heute. "Nachmetaphysisches Denken" das ist zunächst die historische Antwort auf die Krise der Metaphysik nach Hegel, deren zentrale Denkfiguren vor allem durch gesellschaftliche, aber auch durch innerwissenschaftliche Entwicklungen ins Wanken geraten sind. In der Folge wurden das Erkenntnisprivileg der Philosophie erschüttert, ihre Grundbegriffe detranszendentalisiert und der Vorrang der Theorie vor der Praxis in Frage gestellt. Aus guten Gründen hat die philosophische Theorie, so die Diagnose damals, "ihren außeralltäglichen Status eingebüßt", sich damit aber auch neue Probleme eingehandelt. In "Nachmetaphysisches Denken II" widmet sich Habermas einigen dieser Probleme in zum Teil bisher unveröffentlichten Texten.
Im ersten Teil des Buches geht es um den Perspektivenwechsel von metaphysischen Weltbildern zur Lebenswelt. Letztere analysiert Habermas als "Raum der Gründe" auch dort, wo die Sprache (noch) nicht regiert, etwa in der gestischen Kommunikation und im Ritus. Im zweiten Teil steht das spannungsreiche Verhältnis von Religion und nachmetaphysischem Denken im Vordergrund. Habermas schließt hier unmittelbar an seine weitsichtige Bemerkung von 1988 an, wonach die "Philosophie auch in ihrer nachmetaphysischen Gestalt Religion weder ersetzen noch verdrängen" kann, und erkundet etwa das neue Interesse der Philosophie an der Religion. Den Abschluss bilden Texte über die Rolle der Religion im politischen Kontext einer postsäkularen, liberalen Gesellschaft.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.02.2013

So sähe es der Rezensent auch gern - wenn der säkulare und der religiöse Bürger im politischen Diskurs miteinander auf Augenhöhe diskutierten. Jürgen Habermas entwirft diese Vision in zehn Aufsätzen, in denen sich der Philosoph mit der Frage beschäftigt, wie der Staat mit Religion umgehen sollte, ohne seine Neutralität aufzugeben. Dass Habermas hier seine religiöse Unmusikalität unter Beweis stellt, indem er weder in Richtung Religion, noch in Richtung Atheismus abdreht, sondern philosophische Gründe sondiert, rechnet ihm Rudolf Walther hoch an.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.12.2012

Wolfgang Huber, ehemaliger Bischof und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat Jürgen Habermas' unter dem Titel "Nachmetaphysisches Denken II" gesammelte Aufsätze und Repliken mit Gewinn und Interesse gelesen. Darin, so fasst Huber zusammen, richtet Habermas seinen philosophischen Blick auf die Religion und kritisiert den in diesem Verhältnis "eingespielten Überlegenheitsgestus". Denn für Überlegenheit bestehe kein Anlass angesichts der selbstzerstörerischen Tendenzen, die die vermeintlich vernunftgeleitete Moderne mit dem Klimawandel und dem Finanzkapitalismus an den Tag legt. Dass der Philosoph den religiösen Wahrheitsansprüchen zwangsläufig agnostisch gegenüberzustehen habe, wie Habermas meint, findet Huber allerdings nicht; er verwahrt sich davor, Religion zur "gesellschaftlichen Werteagentur" zu degradieren und betont das reflexive Potential des Protestantismus. "Nachmetaphysisches Denken II" ist für ihn dennoch ein "bemerkenswertes Beispiel für ein Lebenswerk, das nach wie vor ein work in progress ist".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 09.10.2012

Interessiert und sehr aufmerksam hat Martin Bauer Jürgen Habermas' Aufsatzsammlung "Nachmetaphysisches Denken II" gelesen, die sich rund 25 Jahre später an einen ersten Band anschließt. Hatte sich der Sozialphilosoph damals vor allem gegen Tendenzen des Naturalismus und einer "Metaphysik als Subjekttheorie" gewandt, beleuchtet er hier die zeitgenössische Philosophie in ihrem Verhältnis zur Religion, erklärt der Rezensent. Ganz besonders fesselnd fand Bauer den Vortrag, den Habermas zum Abschluss des Münchner Philosophenkongresses 2011 hielt und der im vorliegenden Band erstmals abgedruckt ist. Darin geht es um die "Verbindung von mythologischer Weltdeutung und ritueller Gemeindepraxis", der der Philosoph in einer kühnen Wendung, die der Rezensent aber durchaus nachvollziehen zu können scheint, eine Genealogie des Geistes abgewinnt.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.10.2012

Über zwanzig Jahre nach Erscheinen eines ersten Bandes gleichen Titels stellt sich also heraus, dass Jürgen Habermas mit dem "nachmetaphysischen", ja nicht mal, so scheint es, mit dem metaphysischen Denken abgeschlossen hat. Uwe Justus Wenzels Kritik dieses Bandes mit bereits bekannten Aufsätzen liest sich selbst schon wie eine philosophische Abhandlung und zeichnet mit spürbarer Sympathie Habermas' Zögern vor der Religion nach: Habermas will offenbar so wenig die Nabelschnur der Philosophie zur Religion abschneiden wie er letztlich den Welterklärungsanspruch der Philosophie ganz preisgeben will. Auch darum sieht der späte Habermas die beiden in "Koexistenz", ja"Symbiose", führt Wenzel aus. Nur so könne sich die Philosophie dem "aufdringlichen gesellschaftlichen Faktum des religiösen Pluralismus" stellen und den säkularen Staat für seine komplizierten Aufgaben fit machen. Von ferne ist hier auch das Wetterleuchten der von Perlentaucher und signandsight.com lancierten Debatte über "Islam in Europa" zu spüren, die Habermas in einem ausführlichen Essay würdigte und um einen dritten Standpunkt zwischen Multikulti und angeblichem Fundamentalismus der Aufklärung zu bereichern suchte.