Außer Atem: Das Berlinale Blog

Unsichtbare Kriege, sichtbare Vögel: Philip Scheffners 'Der Tag des Spatzen'

Von Lukas Foerster
17.02.2010. "Ich find's schwierig", meint Philip Scheffner in der einzigen Szene, in der er selbst im Bild auftaucht zu einem Freund, einem Antikriegsaktivisten, der gemeinsam mit zwei Mitstreitern vor Gericht steht, weil sie militärisches Gerät der Bundeswehr sabotiert haben sollen. Schwierig findet Scheffner, eine Antwort darauf zu geben, wann und vor allem wie man ein vages oder auch ein sehr spezifisches Unbehagen an den Verhältnissen - in diesem Fall an der Tatsache, dass Deutschland einen Krieg führt und niemand etwas davon wissen zu wollen scheint - in politisches Handeln übersetzen kann. Sein Freund hat diesen Schritt gewagt und sitzt inzwischen nach einem in mancher Hinsicht fragwürdigen Prozess im Gefängnis.


"Ich find's schwierig", meint Philip Scheffner in der einzigen Szene, in der er selbst im Bild auftaucht zu einem Freund, einem Antikriegsaktivisten, der gemeinsam mit zwei Mitstreitern vor Gericht steht, weil sie militärisches Gerät der Bundeswehr sabotiert haben sollen. Schwierig findet Scheffner, eine Antwort darauf zu geben, wann und vor allem wie man ein vages oder auch ein sehr spezifisches Unbehagen an den Verhältnissen - in diesem Fall an der Tatsache, dass Deutschland einen Krieg führt und niemand etwas davon wissen zu wollen scheint - in politisches Handeln übersetzen kann. Sein Freund hat diesen Schritt gewagt und sitzt inzwischen nach einem in mancher Hinsicht fragwürdigen Prozess im Gefängnis.

Philip Scheffner hat statt dessen mit der "Tag des Spatzen" einen sonderbaren, faszinierenden Film gedreht. Während er mit seinem Freund spricht, machen die beiden, gemeinsam mit dem Sohn des Freundes, das, was der Film auch sonst die ganze Zeit über macht: Sie beobachten Vögel. In dieser Szene sind es Greifvögel, ansonsten aber meistens Spatzen. Spatzen, nichts als Spatzen. In Bäumen, auf Wiesen, in Pfützen, auf Panzern. Eigentlich gibt es, so erfährt man an einer Stelle, gar nicht mehr so viele Spatzen in Mitteleuropa, ihr natürlicher Lebensraum weicht immer mehr der Kulturlandschaft. Der Spatz ist auf die erweiterte Liste der bedrohten Tierarten aufgenommen worden. Noch aber ist der Spatz sichtbar, er kann beobachtet, verfolgt, gefilmt werden. Der Krieg in Afghanistan kann das nicht, oder zumindest nicht so einfach. Man müsste dafür schon nach Afghanistan gehen und die Bilder, die aus Afghanistan nach Deutschland gelangen, stammen im Allgemeinen von Journalisten, die mehr oder weniger "embedded" sind. Wie dieses "embedding" funktioniert, das zeigt "Der Tag des Spatzen" auch, ganz beiläufig.

Der Film enthält nämlich sein eigenes Making of. Scheffner hatte bei der Bundeswehr angefragt, ob sie Interesse hätte, sein Filmprojekt zu fördern. Die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit ließ sich tatsächlich auf erste Koordinationsgespräche mit dem seltsamen Vogel Scheffner ein. Bei einem dieser Gespräche hatte ein Bundeswehrmitarbeiter, so berichtet der Voiceover des Films, eine "Bildidee": einen brennenden Busch in Afghanistan solle Scheffner filmen, davor deutsche Soldaten. Die Bundeswehr als Beschützer des Lebensraums afghanischer Vögel. Ein solches Bild findet sich nicht im fertigen Film. Und aus der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr ist dann schließlich auch nichts geworden. Scheffner bleibt in Deutschland. Deutschland ist Kriegspartei, also muss es irgendwo Spuren oder Zeichen des Krieges geben. Die skandalöse Unsichtbarkeit des Afghanistan-Krieges auf der einen und die banale Sichtbarkeit des Spatzen auf der anderen Seite: Das ist die Ausgangsposition.



Eine asymmetrische Ausgangsposition für einen asymmetrischen Film, der Dinge nebeneinander stellt, die nicht nebeneinander zu gehören scheinen. An einer Stelle expliziert der Voice-Over-Kommentar den Ursprung des Films noch deutlicher. Scheffner hat auf einer Zeitungsseite nebeneinander zwei Meldungen entdeckt: einer über einen getöteten Spatzen in einem niederländischen Einkaufszentrum, einen über den Tod eines deutschen Soldaten in Afghanistan. Es passt zu diesem Film, dem sehr wichtig ist, was sichtbar wird und was unsichtbar bleibt, was hörbar wird und wer stumm bleibt, dass die entsprechende Zeitungsseite nicht im Bild auftaucht, sondern nur auf der Tonspur erwähnt wird. Das eigentlich interessante an Scheffners Film ist allerdings, wie er diese selbst gelegte Spur eben gerade nicht konsequent weiterverfolgt, wie er die Frage, was denn nun der Spatz genau mit dem Krieg zu tun haben könnte, gerade nicht beantwortet. Und wie er statt dessen über weite Strecken einfach weiter Vögel beobachtet und dabei über den Krieg (und über Vögel) spricht, ohne, dass sich ein dialektischer Mehrwert einstellen würde. Wie da einer mit aller Macht den Krieg sucht und doch immer nur Vögel findet. Der Voice-Over-Kommentar teilt mit, dass Kampffliegerschwadrone Vogelexperten in die Länder aussenden, in denen sie Einsätze zu fliegen beabsichtigen, damit die Triebwerke der Flieger nicht durch Vogelflug gefährdet werden. An anderer Stelle beobachtet die Kamera, wie ein Mann, vermutlich ein Angestellter der Stadtverwaltung, unter einer Brücke zwei Spatzen erschießt. Wieder an anderer Stelle besteigen Scheffner und seine Kamera einen Segelflieger und betrachten die Mosellandschaft aus der Vogelperspektive. Aber aus alledem folgt zunächst einmal nichts. Der Vogel ist nah, der Krieg weit weg.

Scheffners ersten Langfilm "The Halfmoon Files" zog es in die Vergangenheit. Medium der Vergangenheit wurde das Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin und unter dessen Anleitung schlug sich Scheffner auf gewundenen Pfaden durch die Technikgeschichte und die deutsche koloniale Vergangenheit. Scheffners neuer Film bleibt in der Gegenwart, in der ist alles noch viel komplizierter, die immerhin noch einigermaßen handfest archäologische Methode des Vorgängers greift nicht mehr. Entstanden ist ein Film, der seine eigene filmische Epistemologie endgültig und sehr gezielt kollabieren lässt. Ein Dokumentarfilm, der sein Objekt verloren hat. Und der auf den Verlust des Objekts reagiert, indem er stur weiter Spatzen filmt, die nichts über den Krieg zu sagen haben, aber anhand derer man eventuell etwas lernen kann über Bedingungen und Grenzen von Sichtbarkeit.

Philip Scheffner: "Der Tag des Spatzen". Deutschland 2010, 100 Minuten. (Vorführtermine)