08.02.2007. Heute eröffnet Olivier Dahans Film "La vie en rose" die Berlinale, die Dieter Kosslick in seiner bisherigen Regentschaft zum kunterbunten Rummelplatz umgestaltet hat. Ein Ausblick auf die angewandte Sozialdemokratie im Wettbewerb und umwerfende Vielfalt, die den Filmfan in den Reihen Panorama und Forum erwartet.
Bei der
Berlinale ist im sechsten Jahr der Kosslick-Regentschaft
Konsolidierung angesagt. Anders als zuletzt noch Jahr für Jahr gibt es diesmal keine Strukturveränderungen und keine neuen Veranstaltungsformen mehr, von einem
Schwerpunkt zu
Kochen und Kulinarik im Kino (
Kosslick goes Kerner) mal abgesehen, aber das begreift der im letzten Jahr mit dem Eckart-Witzigmann-Preis ausgezeichnete Festivaldirektor eher als Sahnehäubchen auf der filmischen Grundversorgung. Nach den Revirements der letzten Jahre schmeckt sonst aber offenkundig alles so, wie der Chefkoch es sich wünscht. Auf den ersten Blick gibt's auch keinen Grund zur Klage. Das Berlinale-Geschäft läuft prima, es gab in diesem Jahr Film-Einreichungen sonder Zahl, der
Filmmarkt brummt so sehr, dass der Martin-Gropius-Bau schon wieder aus den Nähten zu platzen droht. Auch die Stars sind in ausreichender Menge angekündigt, und wenn diesmal der "
George vom Comer See" (O-Ton Kosslick für seinen Kumpel George Clooney) nicht kommen kann, dann springen
Clint Eastwood und
Cate Blanchett verlässlich in die Bresche.
Szene aus Clint Eastwoods "Letters from Iwo Jima", Cate Blanchett in Steven Soderberghs "The Good German"Leider ist aus der Perspektive der - auch internationalen - Filmkritik der Zustand des Festivals längst
nicht so rosig, wie es manchem Boulevard- und Hurra-Patrioten scheint. Das Hauptproblem, und es hat tatsächlich vor allem mit dem Populisten Kosslick zu tun: Der Wettbewerb hat sich endgültig in Richtung ästhetischer Irrelevanz verabschiedet. Während gleichzeitig Venedig unter seinem cinephilen Leiter Marco Müller zur exzellent kuratierten Schau zum Stand der Dinge in der Weltkinematografie geworden ist, hat Kosslick die Berlinale zum kunterbunten Rummelplatz umgestaltet, einer flott sich im Kreis drehenden
Diskursanlassmaschine, die viel Lärm macht, und sei es um nichts, oder schlimmer noch: sei es auf dem Rücken gerade kurrenter Polit-Themen, für die Kosslick in Kampagnenfeuilletonmanier gerne das Kino zuständig erklärt.
Jeanne Balibar in Jacques Rivettes "Die Herzogin von Langeais", Oldrich Kaiser in Jiri Menzels "Ich habe den englischen König bedient"Kosslicks Konzept, das mit einer Haltung nichts zu tun hat, lautet: Die Mischung macht's. Entsprechend gibt es Jahr für Jahr einen von Mediokritäten dominierten Gemischtwarenladen, der sich der langweiligsten, weil kleine gemeinsame Nenner suchenden Sorte Proporzdenken verdankt. Für Kosslick kommt Kunst nicht von Formbewusstsein, Originalität oder Reflexion; er versteht sie vielmehr als a
ngewandte Sozialdemokratie. So werden mit schon wieder verlässlicher Beliebigkeit eine ordentliche Portion Hollywood (mit Stars und gewissem Anspruch), ein bisschen Kunst (aber nicht zu anstrengend), traditionell recht viel Asiatisches, der eine oder andere gerade hoch gehandelte oder altbewährte Regisseursname, dazu Spektakel außer Konkurrenz (das ist überhaupt die absurdeste Kategorie) und vor allem politische Themen ohne Ansehung ihrer filmischen Verarbeitung zu etwas zusammengerührt, das dann Wettbewerb heißt.
Szene aus Zack Snyders "300", Robert de Niro filmt "Der gute Hirte"Aber
genug geklagt. Man kann es ja auch pragmatisch sehen und feststellen, dass auch so genug Interessantes bleibt; wenn nicht im Wettbewerb, dann im Panorama und vor allem im Forum, wobei die Übergänge zwischen den Reihen heute sehr viel fließender sind als früher. Sehr schön zum Beispiel, dass der jüngste Film des großen Nouvelle-Vague-Meisters
Jacques Rivette, die Balzac-Verfilmung
"Die Herzogin von Langeais", diesmal nicht in Cannes, sondern eben in Berlin zu sehen ist. Alte Meister des Autorenfilms sind auch
Andre Techine und
Jiri Menzel, letzterer zeigt seine Hrabal-Verfilmung
"Ich habe den englischen König bedient". Aus Amerika kommen
Steven Soderbergh mit seinem 40er-Jahre-Pastiche
"Der gute Deutsche" sowie
Robert De Niro mit seinem Mafia-Epos
"Der gute Hirte", beides, glaubt man den Stimmen aus den USA, wohl keine Meisterwerke, aber doch erfreulich ambitioniertes Kino. Interessanter womöglich, freilich außer Konkurrenz,
Zack Snyders Verfilmung von
Frank Millers Thermopylen-Comic
"300" und
Clint Eastwoods zweiter Teil seines doppelt (nämlich amerikanisch und japanisch) perspektivierten Iwo-Jima-Diptychons
"Letters From Iwo Jima".
Lim Soo-jung in Park Chan-wooks "Ich bin ein Cyborg, aber das macht nichts", Szene aus Li Yus "Lost In Beijing" In der Rubrik Asien gibt es zum einen das jüngste Werk des für seine style-over-substance-Spektakel "Oldboy" und "Lady Vengeance" zuletzt sehr gehypten koreanischen Regisseurs
Park Chan-wook mit dem neckischen Titel
"Ich bin ein Cyborg, aber das macht nichts". Am anderen, nämlich dem gegenwartsrealistischen Ende des Spektrums finden sich die koreanisch-französische Koproduktion
"Hyazgar" ("Desert Dream") von
Zhang Lu und der chinesische Film
"Ping Guo" ("Lost in Beijing") von
Li Yu. In Sachen "Rampenlicht für den deutschen Film" kehrt dieses Jahr ein bisschen Ruhe ein.
Karl Markowics mit Süßen in Stefan Ruzowitzkys "Die Fälscher", Nina Hoss in Christian Petzolds "Yella" Man darf es wohl als Geste der Souveränität verstehen, dass nach den vier Filmen im letztjährigen Wettbewerb in diesem Jahr nur anderthalb zu sehen sind. Das deutsche Kino ist weltweit wieder im Gespräch - zwar (noch) nicht auf den anderen großen Festivals, aber doch regluär im Kino und in mancherlei Sonderreihen in Europa und Übersee. Sichtbar wird dies übrigens auch am breit gestreuten Auftauchen deutscher SchauspielerInnen in internationalen Festivalfilmen:
Martina Gedeck spielt bei Robert De Niro,
Moritz Bleibtreu bei Paul Schrader,
Jasmin Tabatabai bei Hal Hartley,
Julia Jentsch bei Jiri Menzel und
Andre Hennicke in Saverio Costanzos italienischen Wettbewerbsbeitrag
"In memoria di me".
Szene aus Pascale Ferrans "Lady Chatterley"Mit
"Yella" ist
Christian Petzold zum zweiten Mal nach "Gespenster" im Wettbewerb vertreten - und damit der prominenteste Regisseur jenes neuen deutschen Kinos, das man unter die Überschrift "
Berliner Schule" fasst. Diese Filme haben es in Deutschland nach wie vor eher schwer, auch - und gerade - auf dem Rummelplatz Berlinale. Zu spröde, zu intellektuell, zu genau für allen Radau kommen sie daher; zu wenig kompromissbereit sind sie für die röhrenden Hirschen des Populismus, zu denen sich neulich auch
Günther Rohrbach, Präsident der
Deutschen Filmakademie, mit einer Philippika gegen die deutsche Filmkritik gesellte. Neben Petzold, der sich in "Yella" an einem fast schon heimlichen Remake des unheimlichen B-Horrorfilms "Carnival of Souls" versucht, stellen auch
Thomas Arslan mit
"Ferien",
Maria Speth mit
"Madonnen" und
Angela Schanelec mit
"Nachmittag" ihre neuen Filme vor; sie sind auf die Reihen "Panorama" und "Forum" verteilt. Im Wettbewerb läuft als deutsch-österreichische Koproduktion
Stefan Ruzowitzkys "Die Fälscher", eine Geldfälschergeschichte aus Nazi-Deutschland nach wahren Begebenheiten.
Szene aus E. J-Yongs "Dasepo Naughty Girls", Frederick WisemanAus dem Panorama-Programm stechen unter anderem
"Woman on the Beach", der faszinierende und sehr komische neue Film des in Deutschland nach wie vor weitgehend unbekannten koreanischen
auteur Hong Sang-soo und die von der französischen Kritik völlig zu Recht gefeierte
D.H. Lawrence-Verfilmung
"Lady Chatterley" der Regisseurin
Pascale Ferran heraus. Mit
"Fay Grim" ist das jüngste Werk des zuletzt durch sehr eigene ästhetische Welten irrenden einstigen Independent-Lieblings
Hal Hartley zu sehen; als eher enttäuschendes Konversations-Psycho-Duell erweisen sich leider
Steve Buscemis Remake des
Theo-van-Gogh-Films
"Interview" (mit Sienna Miller) und die zwar knallbunte, leider aber auch ziemlich hohle Comic-Verfilmung
"Dasepo Naughty Girls" des mit der "Gefährliche Liebschaften"-Version "Untold Scandal" vor zwei Jahren sehr angenehm aufgefallenen
E. J-Yong.
Szenen aus Okamoto Kihachis Filmen "The Last Gunfight" und "The Elegant Life"Wie stets von umwerfender Vielfalt ist das Angebot im Forum. Herausragend
"State Legislature" des Dokumentarfilm-Großmeisters
Frederick Wiseman. Zu sehen gibt es nichts als dreieinhalb Stunden lang Sitzungen und Parlamentsdebatten im Capitol des extrem konservativen Kartoffelstaates Idaho - zu gewinnen sind dabei aber die verblüffendsten Einblicke in das Funktionieren der amerikanischen Demokratie. Am anderen Ende des Spektrums, und mit nur knapp drei Stunden vergleichsweise kurz, der einzige "Bollywood"-Film im Festival, das Mafiafilm-Remake
"Don" mit Superstar
Shah Rukh Khan. Daneben Neues zum Beispiel von
Heinz Emigholz,
Guy Maddin und
Ulrike Ottinger. Eine kleine
Auswahlretrospektive gibt es zum Werk des wenig bekannten japanischen Genre-Meisters
Okamoto Kihachi und die Festival-Ehre, die ihm gebührt, widerfährt
Charles Burnetts fast dreißig Jahre altem Schlüsselwerk des schwarzen US-Independent-Films
"Killer of Sheep", der jetzt in einer restaurierten Fassung erstrahlt.
Clara Bow in "It", Asta Nielsen in "Zapatas Bande" Dasselbe gilt für das herausragende Ereignis - oder jedenfalls Event - der
Retrospektive, die Aufführung mit neu komponierter Musik des
Asta-Nielsen-Klassikers "Hamlet". Der erweist sich freilich bei näherer Betrachtung als weniger gut gealtert als etwa die in der "
City Girls"
-Retro zu weiblichen Stummfilm-Stars auch gezeigten Klassiker "Fleur de Paris" mit
Mistinguett,
Ernst Lubitschs wunderbare, sprachliche in visuelle Apercus übertragende Oscar-Wilde-Verfilmung "Lady Windermere's Fan" oder das umwerfende Melodram "A Cottage on Dartmoor" des großen, wenngleich etwas in Vergessenheit geratenen Briten
Antony Asquith. Daneben finden sich noch selten oder nie im Kino zu sehende Meisterwerke von Mikio Naruse, Allan Dwan oder King Vidor.
Jane Fonda in "The Chase", Paul Newman in "The Left-Handed Gun", alle Filme von Arthur PennDer zweite
Schwerpunkt gilt dem in diesem Jahr mit dem Ehrenbären ausgezeichneten New-Hollywood-Regisseur
Arthur Penn. Auch in diesem Rahmen gibt es einzigartige Gelegenheiten, sonst kaum gezeigte Werke auf der großen Leinwand zu bewundern. Bei aller Kritik an den Konzepten ihres Leiters: Im Grunde ist ein Festival wie die Berlinale natürlich
nicht klein zu kriegen. Allein mit der Retrospektive könnte der Filmfan schon restlos glücklich werden.
Links:Wettbewerb und Panorama Internationales Forum des jungen Films Retrospektive Kinderfilmfest
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