Heute in den Feuilletons

Kulinarische Ruinenromantik

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.03.2013. Der Buchreport fragt, was die Fusion von Penguin und Randomhouse, die gemeinsam fünfzig Prozent der amerikanischen Belletritik herausbringen, für den Buchhandel heißen wird. Die Blogs diskutieren über einen Zeit-Artikel zu Schwarzkopien in der Kinobranche, den die Zeit gerade online gestellt und dann gleich wieder gesperrt hat. Die Schweizer Medienwoche konstatiert, dass Journalisten Teil der Eliten sind, über die sie eigentlich mit Distanz berichten sollten. Die FAZ fragt: Was passiert mit all dem Geld, das den Banken zugesteckt wird, das sie aber nicht weitergeben?

TAZ, 08.03.2013

Am Internationalen Frauentag geht es in der taz um das Leben im Verborgenen, ob auf der Flucht, bei der Arbeit oder zu Hause. Unter anderem protokolliert Simone Kaempf einen Arbeitsbericht von Bärbel Kleemann, Souffleuse am Berliner Maxim Gorki Theater, die von den Zuschauern übersehen wird, obwohl sie zwischen ihnen in der ersten Reihe sitzt. Und Alke Werth hat der Sängerin Negar R. zugehört, die vor drei Monaten aus dem Iran flüchtete und davon erzählt, "wie die Reibung, die Trennung zwischen öffentlichem und Privatleben, und der Einfluss, den das Öffentliche auf das Private hat, dazu führen, dass viele Frauen im Iran depressiv sind."

Weitere Artikel: Unter der Überschrift "Doch bloß wieder Stöckelschuhsafari" analysiert Wilfried Urbe auf der Medienseite weibliche Rollenbilder im deutschen Fernsehen. Ophelia Abeler schreibt in ihrer Kolumne aus New York über Bushwick, das sich als das neue Künstler- und Galerienviertel etabliert und wohin die U-Bahn-Fahrt so lange dauert, "dass die Künstler vielleicht weggentrifiziert sind, bis man ankommt - so schnell, wie das hier geht." Michael Brake berichtet über die Bands Kraftklub und MIA, die ihre Echo-Nominierungen zurückgegeben haben, weil auch die als rechts geltende Band Frei.Wild nominiert ist. Zu lesen ist außerdem ein Kapitel aus Wolfgang Schorlaus neuem Buch "Rebellen", das sich mit den Linken der 60er und 70er Jahre in der BRD beschäftigt, die sich heute entscheiden müssen, wie sie mit den Idealen ihrer Jugend umgehen.

Besprochen werden das Album "Jama ko" des musikalischen "Familienbetriebs" Bassekou Kouyate & Ngoni Ba aus Mali und Wolfgang Schorlaus Buch "Rebellen".

Und Tom.

NZZ, 08.03.2013

Knut Henkel berichtet von dem neuen Migrationsgesetz in Kuba, das die Ausreise erleichtert. Die kubanische Regierung schiebe damit den Zielländern die Entscheidung zu, ob ein Visum gewährt werde: "So ist Havanna den schwarzen Peter losgeworden und kann obendrein hoffen, dass besonders Unzufriedene der Insel für kurze oder auch längere Zeit den Rücken kehren."

Weitere Artikel: Der Architekturkritiker Jürgen Tietz beklagt steigende Miet- und Bodenpreise in Großstädten und freut sich, dass Baugruppen "Bewegung in die verkrustete Architekturszene" bringen. Auf der Pop-und-Jazz-Seite berichtet Knut Henkel über das Verbot des Musikstils Reggaeton (der eine "große Dosis Anzüglichkeiten" enthalte) in Kuba und konstatiert: "Statt sich mit kulturellen und gesellschaftlichen Realitäten auseinanderzusetzen, greift man in Kuba lieber zum Instrument der Zensur." Außerdem fragt sich der Wirtschaftswissenschaftler und Glücksforscher Bruno S. Frey: "Macht Demokratie glücklich?"

Besprochen werden David Bowies neues Album "The Next Day" und ein Konzert der Pianistin Hélène Grimaud in Zürich.

Weitere Medien, 08.03.2013

Ronnie Grob liest für die Schweizer Medienwoche eine Studie Uwe Krügers über Hierarchen des Journalismus und ihre Vernetzung mit Thinktanks und Wirtschaft - und kommt zu dem Ergebnis, dass diese Journalisten schlicht Teil der Eliten sind, über die sie eigentlich mit Distanz berichten sollten. Das Dumme ist nur, dass man Journalisten im Grunde gar nicht in Fünf-Sterne-Hotels einladen muss, denn "diesem 'konsonanten Meinungsbild' setzten ... (zu Kontrollzwecken ebenfalls untersuchte) Medien wie die Frankfurter Rundschau und die taz, welche selbst keine personellen Netzwerke in das sicherheitspolitische Establishment aufwiesen, keine dezidiert eigene Haltung entgegen."

Magnus Klaue wirft im Freitag einen eher kritischen Blick auf die immer weiter verbreitete Mode, "Unwörter des Jahres" zu küren, und betrachtet zum Beispiel die "Liste sozialer Unwörter", die von der Nationalen Armutskonferenz (nak) erstellt wurde. Sie möchte zum Beispiel die Wörter "arbeitslos" und "bildungsfern" ächten: "Ersteres, so fordert die nak, möge durch 'erwerbslos' ersetzt werden, 'weil es viele Arbeitsformen gibt, die kein Einkommen sichern'. Letzteres bezeichne 'vom Bildungswesen nicht Erreichte', schreibe also den Individuen einen Mangel zu, an dem die Institutionen schuld seien. Was als Verbindung von Sprach- und Ideologiekritik erscheint, ist nichts als eine Empfehlung zur elaborierteren Sprachkosmetik."

Dennis Johnson wundert sich im buchreport über die mangelnde Berichterstattung zur Fusion von Randomhouse und Penguin. Die beiden Häuser, so vermutet er, werden in den USA die Hälfte des belletristischen Markts beherrschen - mit Folgen für den Buchhandel: "Wie viel schwieriger wird es für Unternehmen wie Melville House, ihre Bücher in die Geschäfte zu bekommen, wenn ein einzelnes Unternehmen die Hälfte der Belletristik kontrolliert? Und was, wenn ein Buchladen hie und da einen finanziellen Engpass hat? Er wird auf jeden Fall dafür sorgen, dass sein größter und wichtigster Lieferant zuerst bezahlt wird."

Welt, 08.03.2013

Der Publizist Heinz Verfürth findet die Erinnerungskultur in Deutschland, die der Opfer gedenkt, unglaubwürdig, denn Rassismus und Antisemitismus seien "in der Mitte angekommen". Rein Wolfs, der neue Intendant der Bundeskunsthalle Bonn, erklärt im Interview, wie er sich die Zukunft des Hauses vorstellt: "Mich fesselt Kunst, die Verbindungen zur gesellschaftlichen Realität hat." Dankwart Guratzsch berichtet von einem Dortmunder Kongress über "Sehnsuchtsstädte". Eckhard Fuhr schreibt zum 90. Geburtstag des demenzkranken Walter Jens. Michael Pilz schreibt den Nachruf auf den Gitarristen Alvin Lee.

Besprochen werden die Revue "Juden, zur Sonne, zur Freiheit", mit der SPD und Jüdisches Museum an die linke jüdische Tradition in Deutschland erinnern, und der Film "Souls of Zen" über buddhistische Mönche, die für die Opfer des Tsunami beten.

Auf der Forumsseite wirft Richard Herzinger einen Blick auf Vergangenheit und (etwa in Nordkorea oder islamistischen Regimes) fortdauernde Gegenwart des Totalitarismus.

Aus den Blogs, 08.03.2013

Das Zeit-Dossier vom 7. Februar, in dem Kerstin Kohlenberg den aussichtslosen Kampf des Produzenten Stefan Arndt gegen illegale Kopien seines Films "Cloud Atlas" schildert, hat zahlreiche Blog-Reaktionen hervorgerufen (woraufhin der Artikel, der vorübergehend online zu lesen war, offenbar wieder aus dem Netz verschwunden ist). Absatz für Absatz geht wortvogel den Text durch und entlarvt die tendenziöse Ausrichtung der Argumentation. Seines Erachtens "bastelt Produzent Stefan Arndt an seiner eigenen Legende, um das Versagen von 'Cloud Atlas' zu rechtfertigen". Dass der Film sein Publikum nicht an einen Handymitschnitt aus einem russischen Kino verloren, sondern nie ein Massenpublikum angesprochen hat, glaubt auch jensscholz und weist darauf hin, "dass ein Mix von unterschiedlichen Themen die Zuschauermenge nicht vergrößert, sondern auf diejenigen verringert, die mit allen Themen etwas anfangen können". Tatsächlich werde die illegale Verbreitung von Filmen durch anachronistische Praktiken wie gestaffelten Starttermine gefördert, meint piraten.raum: "In Zeiten des Internets, wo alles sofort verfügbar sein könnte, sperrt man Filmfans wochenlang künstlich aus anstatt jedem den Film sofort zur Verfügung zu stellen."
Stichwörter: Russisches Kino, Clouds

SZ, 08.03.2013

Mit ihrer Entscheidung, Drohnenkrieger bevorzugt auszuzeichnen, hat sich die amerikanische Regierung den Unmut vieler Frontsoldaten zugezogen, berichtet Nicolas Richter. Für ihn zeichnet sich damit jedoch ein neuer Heldenbegriff ab: "Und wenn es mit US-Computerviren gelingen sollte, Irans Atomanlagen endgültig stillzulegen, hätten Hacker sogar einen echten Krieg verhindert. Sind sie deswegen Helden? Oder Genies?"

Außerdem: Cathrin Kahlweit beobachtet im österreichischen Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus eine zumindest tendenzielle Fokusverlagerung weg von der vermeintlichen eigenen Opferrolle hin zu einer um Aufklärung bemühten Auseinandersetzung. "Was für eine Offenheit! Was für eine Klarheit!", jubelt Laura Weissmüller nach dem Besuch des gründlich entrümpelten Museums für Angewandte Kunst in Frankfurt. Christine Dössel trinkt mit dem Schauspieler André Jung einen Weißwein. Beim Festabend im Berliner Jüdischen Museum zum 150jährigen Bestehen der SPD kam Thorsten Schmitz aus dem Gähnen gar nicht mehr heraus. Helmut Martin-Jung schreibt den Nachruf auf den Gitarristen Alvin Lee. Stephan Speicher gratuliert dem Kritiker Walter Jens zum 90. Geburtstag.

Besprochen werden eine Mel-Bochner-Werkschau im Haus der Kunst in München und Bücher, darunter Roberto Bolanos unvollendeter Roman "Die Nöte des wahren Polizisten" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 08.03.2013

Patrick Bernau erfährt bei den Recherchen für seine Reportage zwischen Frankfurt und Offenbach, dass die Europäische Zentralbank zwar buchstäblich per Knopfruck Milliarden von Euro in die Banken pumpt, um sie an Unternehmen weiterzuverleihen, doch würden diese das Geld nicht weiterreichen. Das habe auch damit zu tun, dass es keiner will: "Kaum einer nimmt das Geld in die Hand und gründet eine Firma oder startet wenigstens einen neuen Geschäftszweig. Dazu bräuchten die Deutschen mehr Optimismus für die Wirtschaft und den Glauben daran, dass aus ihrem Wagnis etwas werden kann. Ein paar zündende Geschäftsideen oder ein bisschen mehr Mut. Stattdessen bleibt das Geld im Finanzsystem", was, fürchtet Bernau, bald wieder zu Unheil führen wird.

Außerdem: Stefan Schulz stellt das Debatten-Onlinemagazin The European vor, dessen "Erfolg in der Nische zeigt, dass die Grenzen des Journalismus im Internet neu gezogen wurden". Günter Kowa besucht neue Luther-Museen in Eisleben, Mansfeld und Wittenberg. Jürgen Dollase ist entsetzt über den guten Ruf, den das belgische Restaurant "Scheltema" genießt: Dessen Befürworter erfreuen sich wohl an "einer Art kulinarischer Ruinenromantik". Dirk Schümer berichtet aus dem papst- und regierungslosen Rom. Edo Reents schreibt den Nachruf auf den Gitarristen Alvin Lee.

Besprochen werden neue Schallplatten (darunter die neue von Schorsch Kamerun), die "großartig komponierte" Tizian-Ausstellung in der Scuderie del Quirinale in Rom, eine Ausstellung zum Werk von Karl und Nikolaus Heidelbach im Museum Burg Wissem, Sarah Polleys Liebes-Dramödie "Take this Waltz" und Bücher, darunter Orhan Pamuks "Die Unschuld der Dinge. Das Museum der Unschuld in Istanbul" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).